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Valentin Boettcher's Site

Viel Neues

Posted on in Neuseeland • 1608 words • 8 minute read

Welch turbulente Tage. Nach einer großen Panik, die sich bei mir schon das ganze Wochenende mit einem Unwohlsein angekündigt hat, sitze ich jetzt auf der Rückbank unseres sehr kleinen Campervans und habe ein wenig Ruhe, um endlich mal wieder von meinen Abenteuern zu berichten. Die erste Nacht ist erstaunlich komfortabel überstanden und ich bin wieder entspannt :).

Den letzten Monat habe ich noch einmal etwas Neues ausprobiert und mich ins kalte Wasser gestürzt. Und wirklich, ich habe mich am ersten Abend gefragt, was ich mir eigentlich gedacht habe. Harsch enttäuscht von Dunedin und überwältigt von der Aussicht, einen Monat einmal ganz für mich allein zu sorgen, sah ich am ersten Abend wirklich kein Licht. Ein paar Tage später war meine “Reisekrankheit” aber auch schon wieder kuriert. Ich hatte mich in Hogwartz, dem Hostel in dem ich arbeitete, eingelebt und auch mit meiner Programmierarbeit ging es voran. Zu meinen Kollegen im Hostel konnte ich zuerst keinen Draht finden und besonders Lukas, ein Musiker und Programmierer, gab sich sehr verschlossen. Ich fand jedoch recht schnell heraus, dass jeder, außer einem Langzeitgast des Hostels, dasselbe Problem hatte und knüpfte darauf hin schnell Freundschaften mit zwei Belgierinnen. Im Allgemeinen war ich überrascht, wie gesselig ich mich auf einmal in der Flut der neuen Menschen, die jeden Tag über mich hereinbrach, verhielt. So unternahm ich regelmäßig Ausflüge und immer fand sich genug Gesellschaft, um mein Auto zu füllen. Es gibt diesen ganz bestimmten schlag von jungen Reisenden, die sich immer mit uns (der Belegschaft) in der kleinen und meist übersehenden Küche neben der Großküche zusammenfanden und mit denen man immer prächtig auskam. In besagter Küche, die ich auf Grund ihrer geringen Popularität immer ganz für mich selbst hatte, konnte ich nach Herzenslust Kochen, Braten und Backen, ohne mich in Rivalitäten um Töpfe und Herdplatten zu verstricken. Auch wenn ich zuvor schon gelegentlich ein paar Nudeln eingeweicht und Fertiggerichte nach Anleitung zubereitet hatte, konnte ich nicht auf einen großen Erfahrungsschatz zurückblicken. Es sei mir das Eigenlob vergeben, aber ich meine, mich sehr gut geschlagen zu haben. Von Bolognese über gebackene Kumara bis hin zur Lasagne hatte ich nicht unter Nahrungsmangel zu leiden. Und im Kühlschrank stapelte sich das im ersten Einkauf erstandene Toastbrot, denn gleich an meinem ersten Tag hatte ich wieder angefangen Brot zu backen. In Wirklichkeit ist Brotbacken ziemlich einfach, aber sehr lohnend und schindet deswegen nur umso mehr Eindruck. Fleißig teilte ich mein Brot und mein Wissen, war aber der Einzige, der bis zum Ende alle halbe Woche Brot buk.

Welch bemerkenswerte Phänomene durfte ich in unserem kleinen (mittelgroße) Hostel beobachten. Wenn man sieben Uhr aufstand, hatte man das ganze Hostel für sich, um acht konnte man den Schleier der Trägheit noch förmlich sehen und in meinem sehr dunklen aber gemütlichen Schlafzimmer konnte ich des Öfteren selbst um zehn Uhr nicht staubsaugen, weil einige besonders bequeme Individuen, immer noch in ihren Betten ruhten. Reisende sind ein lustiges Volk, besonders die Sorte, die mehrere Monate unterwegs ist. Hört man die Geschichten eines solchen Weltenbummlers, so kann man sich kaum vorstellen, wie auf Reisen auch nur ein Tag ohne neue, atemberaubende und phänomenale Eindrücke vergehen kann. In Wirklichkeit kam mir der Eindruck, das die meisten Tage solcher Menschen von an Lethargie grenzender Trägheit gekennzeichnet sind. Relativierend muss ich aber gestehen, dass dieser Eindruck wahrscheinlich von Extremfällen herrührt, die am Ende der Saison nicht mehr mit der alten Energie umherziehen. Ich selbst hatte, da man erst um 10 Uhr zur Arbeit antrat, alle mühe, meinen Schlafrhythmus aufrecht zu erhalten.

Wie dem auch sei. Besonders ein besonders bemerkenswertes Exemplar des Homo Instrenuus wurde mir zu einem guten Freund, auch wenn ich ihren Namen immer noch nicht kenne. Sie, eine Chinesin, entfloh dem Stress, kahm für ein Jahr nach Neuseeland und blieb dann irgendwie in Dunedin hängengeblieben. Auch wenn ihre Ansichten zur “Partei” sehr chinesisch sind, war sie doch als biertrinkender Fußballfan so ganz und gar untypisch. Ich konnte ihr, die sie ihren Lebtag noch kein Saxophon gesehen oder gar gehört hatte, mit meinem Saxophonspiel eine große Freude machen. Das ging soweit, dass ich eines Abends, nachdem wir in einem sehr schönen Café namens “The Dog with two Tails” (Sehr untypisch wollte Sie mir unbedingt einen Drink ausgeben. Ich habe das Bier probiert, konnte aber immer noch nichts daran finden.) waren, mitten im nächtlichen Stadtzentrum herumjazzte. Nachdem wir eines anderen Abends zum beeindruckend kunstvollen Choral Evensong in der wunderbar hellen neogotischen Kathedrale gepilgert waren, fragte erstaunte ich Sie mit meiner Ansicht, das Reich Gottes würde niemals kommen. Nicht, dass ich der Menschheit besonders zynisch gegenüberstehe, aber es ist so, dass sich Religion über das Streben zum besseren definiert. Ohne dieses Streben verlören die Menschen recht schnell die Motivation ihr Paradies aufrecht zu erhalten. Vielleicht ist es also besser wenn, zumindest für die jetzigen Menschen, das Reich Gottes unerreichbar bleibt. Wir leben in interessanten Zeiten, in denen Religion teilweise an Signifikanz verliert und wir Chancen haben, Religion ohne Autorität und Zwang in ihren guten Seiten zu entdecken. Die Tage der Chinesin entwickeln sich zu einem Rhytmus von besorgniserregender Abnormalität und ich hoffe, dass Sie sich selbst etwas Gutes tut und weitergezogen ist, wenn wir wieder in Dunedin sind.

Auch wenn man sich nach fünf Tagen Toilettenputzen entsprechend motiviert fühlt, war die Hostel Arbeit, wenn auch keine angenehme, aber doch eine interessante Angelegenheit. Abendliche Jammsessions, komfortable Betten, nette Besitzer und eine gemütliche Atmosphäre machten mir das Hostel zu einem hervorragenden Heim. Als ich dann auch noch ein (sehr klappriges) Fahrrad leihen durfte, mit dem ich zum Arbeiten (Programmieren) in die schmucke und sehr ruhige Universitätsbibliothek fahren konnte, war mein Glück Perfekt. Am ersten Tage mit dem Fahrad habe ich das Fliegen und meinen Schutzengel kennengelernt! Wie immer grub ich mir selbst ein paar löcher und grämte mich des Öfteren, sodass mir erst, als ich die letzten Tage in einem nicht so angenehmen Hostel verbrachte, bewusst wurde, wie gut ich es hatte und welche Erfahrung ich gesammelt habe. Auch mein Programmierjob brachte mir einen unermesslichen Schatz an Erfahrung, der mir jetzt ermöglicht an einer Open-Source Planetariumssoftware mitzuwirken. Schon auf der Banks Peninsula habe ich Grundsteine gelegt, fleißig C++ gebüffelt und mich in QT geübt.

Sehr schöne drei Wochen wahren das. Wenn wir nicht gerade in den Wolken lagen (Ich wollte schon immer mal wissen, wie das ist :P, aber man wird dem Nebel schnell überdrüssig.), hatten wir eine wunderbare Sonne und ich konnte sogar ein paar mal vom Anleger aus in die kühle und tropisch blaue See hüpfen. Auf unserem Hügel sah ich Sonnenuntergänge und genoss so manchen Tee auf der Veranda. Noch nie war ich so glücklich über mein Auto, denn ohne ist man auf der Halbinsel verloren. James Cook hielt den ehemaligen Vulkan sogar für eine Insel und taufte Sie, nach seinem Bortbotaniker Joseph Banks, die “Banks Island”. Auch als ich das Land mit Panoramablick auf einem der dortigen Hügel examinierte, konnte ich mir nur schwerlich vorstellen, dass ich auf den Überresten eines mehrere tausend Meter hohen Vulkans stehe. Bei genauerem hinsehen kann man jedoch erkennen, das diese zerklüfteten Hügel, die eine Halbinsel aus tentakelartigen Landzungen bilden und im Flachland von Canterbury so fehl am Platz wirken, Vulkanischen Ursprungs sein müssen.

Des weiteren kam ich in den Genuss der Gesellschaft eines sympathischen, französischen Game-Developers. Nachdem ich Raphael, so ist sein Name, mächtig über die Spielentwicklung ausquetscht hatte, war ich sehr erstaunt, wie viel wissenschaftliche Forschung hinter der Computergrafik steckt, auch wenn ich so etwas schon geahnt hatte (verweis auf das National Geographic Magazin in Greymouth). Dem schlossen sich viele Diskussionen über Politik, soziales und sogar die Kernfusion an und ich verstehe nun, warum er am Sinn seiner Arbeit als Game Developer zweifelt und Bienen züchten will. (Welchen Dienst tut man an der Gesellschaft, indem man den Tag vor dem Computer verbringt, um anderen zu ermöglichen, das gleiche zu tun und die unmittelbaren Probleme zu vergessen. Auch wenn Ich glaube, das allein die Freude, die man sich und anderen bringt, gewissermaßen ausgleichend wirkt. Die Dosis macht das Gift. Auch sollte man bemerken, dass die Welt auch bei all den Problemen nicht unbedingt vor die Hunde gehen muss. Wenn man beispielsweise Projekte wie Wikipedia betrachtet wird klar, dass Menschen nicht für Geld sondern aus eigenem Interesse arbeiten können. Ferner ist die Qualität dieser Arbeit meist sogar erstaunlich hoch. So etwas wie Open Source dürfte intuitiv gesehen eigentlich gar nicht funktionieren, in der Realität jedoch entsteht Erstaunliches. Komplexe Systeme, wie unser Gehirn, ein Bienenstock oder eben Kollaboration, lassen sich weder reduktionistisch durch das Beschreiben der einzelnen Bestandteile, noch durch die holistische Betrachtung des Ganzen verstehen. Besonders für uns Menschen, die an bewusste Kontrolle und Planung als menschliche Errungenschaft gewöhnt sind, ist es schwer zu akzeptieren, dass solche stabilen und produktiven Systeme sich zwangsläufig so gefügt (adaptiert) haben, dass sie funktionieren. Das hat doch fast etwas Poetisches, wenn man die Logik des Anthropischen Prinzips vernachlässigt.) Über dieses und weiteres konnte man sich Prima Austauschen. So gut sogar, dass wir zuletzt nicht mehr zusammen arbeiten durften, weil wir nur noch quatschten. So mussten wir uns auf Spatziergänge und Wanderungen Verlegen :).

Viele Ausflüge wurden unternommen: Ich wanderte, ich hörte Konzerte und ich habe sogar eine gratis Tour zu den Albatrossen auf der Otago Peninsula gemacht (zur Webcam, für die ich programmiert habe). Ich habe viel gelernt. Und ich hatte viel Freude. Ich bitte die so spärliche Berichterstattung zu verzeihen, aber es ist so schwer, Schritt zu halten.

Jetzt geht es eine Runde Reisen mit Mama, Noemi und Falko :). Auch wenn jeder vom Wetter etwas vom Wetter und der Umstellung angereizt ist, wird es bestimmt ein Spaß.

Zur Reiseberichterstattung verweise ich fauler Weise einmal an Falkos Blog: http://nz2017.trojahn.de

Gehabt euch gut ;)