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Valentin Boettcher's Site

Better Late than Never

Posted on in Canada • 1516 words • 8 minute read

Hallo miteinander. Nach hundert Jahren Schweigen und Stille, in denen ich euch nur mit ineffizienter Individualkommunikation auf dem Laufenden hielt, kommt jetzt endlich wieder eine neue persönliche Stellungname. Straight from the horses mouth.

Bullshit beiseite: Nach meinem letzten Blogpost ging ich mit meinen Bürokollegen Bowlen, unternahm diverse Wanderungen und besuchte diverse Konzerte. Mit jedem neuen Erlebnis wurde die Hemmschwelle einen Blogeintrag zu verfassen ein bisschen größer, gab es doch noch mehr Berichten.

Deswegen jetzt: Tabula Raza. Zusammenfassend kann ich resümieren1, dass man durch den McGill Outdoors Club viele nette Menschen kennenlernt und dass der Winter in Montreal sehr lange dauert. Mittlerweile bin ich auf den Langlaufskiers recht kompetent und auch nicht ganz triviale Abfahrten kann ich jetzt mit sich in Grenzen haltenden entsetzen meistern.

Durch unglückliche Zeitplanung und mein Unvermögen nicht 100 Prozent geben zu können habe ich die letzten Wochen absurd viel Zeit in das Lösen von Hausaufgaben investiert.

Fast forward… Nun sitze ich am späteren Samstagnachmittag in meinem Lieblingskaffee, um meine Bemühungen vom Mittwoch fortzuführen. Wie schon erwähnt, werde ich diesmal wohl davon absehen ein allzu wortreiches Epos zu verfassen und mich auf die nähere Zukunft beschränken.

Als PhD Student muss ich nur zwei Vorlesungen besuchen und schöner Weise läuft die Sache hier auf den fortgeschrittenen Ebenen, im Gegensatz zu DD, ohne schriftliche oder mündliche Prüfung ab. Dafür muss man aber Hausaufgaben einreichen und einen Vortrag über ein fortgeschrittenes Thema halten. Die Hausaufgaben werden auch nicht so lasch wie in Dresden gehandhabt, und es zählt jeder Punkt. Das hat mich natürlich munter zum Freidrehen motiviert. Aus meinem bisherigen Studium war ich gewöhnt die meisten Übungsaufgaben ohne große Anfälle von Verzweiflung lösen zu können, auch weil sie eher pädagogisch formuliert waren:

a) Zeigen Sie dies… b) Nutzen sie jenes… c) Sie sollten dieses Ergebnis erzielt haben. Zeigen sie nun, dass …

Diese Übungen waren nun ein neues Kaliber. Nie ist man sich sicher, ob die Rechnung so ausarten sollte, oder ob man vor zwei Stunden falsch abgebogen war. Ein großer Selbstzweifel überkam mich, da ich es noch nie erlebt hatte fast eine Arbeitswoche zum Lösen von nur einem Übungsblatt zu benötigen. Zwar sagten mir alle, dass dieser Kurs für seine aufwändigen Übungen bekannt war, und auch mein Betreuer Bill meinte, dass diese Aufgaben durchaus ein anderes Kaliber hatten, aber so ganz geglaubt habe ich keinem. Ab der dritten Übung dann hatte ich mir dann die Philosophie aus The Subtle Art of Not Giving a F*ck zu eigen gemacht und aufgehört mich zu ärgern, wenn der Ärger absolut keinen Mehrwert hat. Außerdem konnte ich so meinem Forschungsprojekt entfliehen, dass mich Mangels klarer Definition und Angriffspunkten als wenig attraktiv für mich darstellte. Tatsächlich hatte ich Bill eine sehr lange und mühsam über eine Woche zusammengeschriebene E-Mail geschickt um ihm zu erklären, welche Probleme ich im aktuellen Projekt sehe.

Wie sich dann herausstellte hatte ich die Sache etwas falsch verstanden, und es ging gar nicht ausschließlich darum neue Experimente für die Gruppe an der Université de Montréal vorzuschlagen und auf Gedei und Verderb alles in diese Richtung zu biegen. Da ich anscheinend ungern Klartext rede, hatte ich zu viel zwischen den Zeilen gelesen. Das passiert mir auch weiterhin, aber besonders in der letzten Woche hatte ich doch etwas Freude am Forschen gefunden, wenngleich mir alles trivial vorkommt. Gleichzeitig habe ich Schiss davor nachzudenken, weil ich dann womöglich “Zeit verschwende”. So ein Quatsch. Ich versuche nun meine Idee des “Doubt Day” weiterhin umzusetzen und mir eine Meinung zu bilden. Zurzeit weiß ich nur, dass ich immer noch kein gutes Bild von meinen Forschungsmöglichkeiten habe. Sollte ich nach dem Sommer immer noch Zweifel haben, muss ich noch einmal in mich gehen, aber im Augenblick sehe ich die Sache eher entspannt.

Zurück zum Text: Zwischen dem Lösen von Übungsaufgaben und der Zuarbeit für das Paper mit meiner ehemaligen Gruppe in Dresden, welches immer noch weit von einer Veröffentlichung entfernt scheint, habe ich es also geschafft mehr als drei Wochen nicht am Projekt zu arbeiten. Die letzte Übung war besonders spannend, da wir nur ein wenige Tage nach deren Fälligkeit unsere Abschlussvorträge halten sollten. Also gab ich Vollgas und verzichtete auf die Osterfeiertage, so wie es sich für einen ordentlichen Studenten gehört. Da ich aber gelernt hatte, dass es sich nicht lohnt auf Verschleiß zu fahren, nahm ich mir dann wenigstens den Ostersonntag frei, wenngleich unter Gewissensbissen, welche sich im Nachhinein als unnötig herausstellten. Zum ersten Mal gelang es mir, einfach eine andere Aufgabe anzugehen, wenn mir die Ideen ausgingen. Und zuweilen hatte ich sogar richtiggehend Spaß. Damit wurde ich dann am Montag fertig und hatte dann eine ganze Woche, meinen Vortrag über topologische Bandstrukturen vorzubereiten. Praktischerweise ist dies auch ein Thema, welches ich für meine Forschungsarbeit zumindest Rudimentär kennen sollte.

Work complicates to fill the available time. – Cyril Northcote Parkinson

Also verbrachte ich die Woche, einschließlich des Wochenendes mit der Vorbereitung dieses Vortrags. Am Montag hielt ich ihn dann mit recht gutem Erfolg, vor allem weil ich halbwegs im Zeitrahmen blieb. Den darauffolgenden Dienstag nahm ich mir frei um eine monströse und teilweise verstörende 80km Fahrradtour auf der Westinsel zu machen.

(Ich schreibe jetzt schon wieder eine Woche später weiter :P. Ich sollte wirklich ein wenig mehr Durchhaltevermögen demonstrieren.)

Das Wetter an jenem Tag war etwas durchwachsen, aber in der Nähe des Parc René-Lévesque zeigte sich doch einmal die Sonne und dank des starken Windes und dementsprechenden Wellengang konnte man sich fast am Meer wägen.

Danach allerdings musste ich immer öfter auf die Straße ausweichen und leider stellte sich auch mein eigentliches Ziel, das Cap-Saint-Jacques, als Enttäuschung heraus. Das graue Wetter und der Jahreszeit geschuldeten Mangel an Grünem ergab ein eher tristes Bild. Der Rückweg ist mir eine Leere, dass Google Maps kein Routenplaner für schöne Fahrradtouren ist. Ich befuhr endlose holprige Radwege an viel befahrenen Straßen durch eine Suburbane Höllenlandschaft, eingekeilt zwischen zwei Highways. Das lässt mich mein Zimmer im Plateau umso mehr schätzen!

Figure 1: Wilkommen and der Nordsee.

Figure 1: Wilkommen and der Nordsee.

Figure 2: Eher trist…

Figure 2: Eher trist…

Figure 3: Suburbane Hoelle…

Figure 3: Suburbane Hoelle…

Die darauffolgende Woche war ich sehr darauf erpicht irgendwie Resultate zu erwirtschaften, da mein bisheriger Fortschritt nicht wirklich nennenswert war. Es ist sehr viel einfacher sich auf eine Vorlesung und deren Übungen zu konzentrieren, als sich mit tatsächlichen Forschungsfragen herumzuschlagen. Vieles fühlt sich im ersten Moment zu trivial an und man weiß auf der anderen Seite nie, ob man nicht gerade in eine komplett falsche Richtung bohrt.

Ich nahm mir also ein “einfaches” Problem welches schnell Resultate abzuwerfen versprach und fütterte den Computer damit 2. Long story short: Nichts funktionierte trotz mehrfacher Adaption und Vergleich mit einer analytischen Lösung. Meine Ergebnisse stellte ich dann in einem Meeting mit den Experimentalisten letzten Mittwoch vor. Am Tag zuvor hatte ich mich schon mit Bill (meinem Supervisor) unterhalten und er war felsenfest davon überzeugt, dass eine bestimmte Art von Messung schon jetzt durchgeführt wird, wohingegen ich mich nicht daran erinnern konnte so etwas gehört zu haben. Also sprach ich das im Meeting an und siehe da: Es stellt sich heraus, dass sich alle fröhlich einander zustimmend missverstanden haben.

Meine Ergebnisse waren leider nicht positiv, da ich nur zeigen konnte, dass das Experiment mit bestimmten Parametern nicht funktioniert. Wie Bill und mir dann während des Meetings einfiel, standen meine Ergebnisse zudem im augenscheinlichen Widerspruch zu denen meines “Vorgängers”. Wir kamen zu dem Schluss, dass ich wohl einen Fehler gemacht haben musste, da seine Ergebnisse “schöner” waren.

Als ich dann den Code erhielt, mit dem besagter Vorgänger gearbeitet hatte, stellte ich zu meiner Verblüffung3 fest, dass dieser Zahlen ausspuckte, die im Grunde mit meinen konsistent waren. Tatsächlich wurden die Ergebnisse einfach mit einem Faktor zwei multipliziert, um das gewünschte verhalten zu herauszukitzeln. Erfreulicherweise hatte ich nur wenig zuvor einen Limes des Modells “entdeckt”4, sodass mir sofort klar wurde was Phase ist.

Wenn man Bill von seiner Arbeit berichtet, dann muss man in der Lage sein alles zu belegen, was man behauptet, denn er gibt sich nicht zufrieden, biss auch er das Meiste verstanden hat. Das ist eine gute Sache und zwingt mich ordentliche Notizen zu machen. Mit diesen konnte ich ihn dann Überzeugen und von da an mit neuem Selbstvertrauen voranschreiten. Tatsächlich gelang es mir dann am Freitag eine Lösung für unser “Problem” zu demonstrieren, was mir sogar ein Lob von Bill einbrachte. Nun gilt es dieser Weiter auszubauen und zu verstehen. Bill scheint schon alles klar zu sein, aber für mich trifft das leider (oder schöner Weise) noch nicht zu.

Zum ersten Mal seit langem kann ich mich also auf die Arbeitswoche freuen!

Ich versuche auch anderweitig das Beste aus meiner Zeit hier zu machen und schließe mich dementsprechend bei allen Unternehmungen an, die mir so unter die Nase kommen. So war kürzlich ich Laser-Tag spielen und baute einen intelligent designten Pflanzkübel aus alten Eimern. All das sind nun aber Geschichten für ein andermal, denn der ihnen vorliegende Roman ist schon lang genug.

Damit: Bis zum nächsten Mal. Hoffentlich in Bälde und weniger chaotisch.

Figure 4: Montreal bei Nacht.

Figure 4: Montreal bei Nacht.

Figure 5: Sonnenuntergang an der Belvedere Outremont.

Figure 5: Sonnenuntergang an der Belvedere Outremont.


  1. See what I did here :P? ↩︎

  2. Ich liebe https://julialang.org/↩︎

  3. und zugegeben, mit einiger Genugtuung ↩︎

  4. Das ist keine neues resultat. ↩︎